
Schweigen
Die Erfahrung sexualisierter Gewalt führt zu einem immensen Vertrauensverlust des Kindes in sein Umfeld und erschüttert das Selbstvertrauen nachhaltig. Die Annahme, dass nur ihnen allein so etwas passieren könne, die Angst vor Strafe, Beschämung der eigenen Familie, moralischer Verurteilung oder Liebesentzug lässt Betroffene oft über Jahrzehnte verstummen. Geschieht die Gewalterfahrung im Bekanntenkreis, kommen Loyalitätskonflikte und Verlustängste dazu oder auch die Sorge, als Lügner dazustehen. Auch die Angst, im Freundeskreis Anerkennung und Zugehörigkeit zu verlieren, und nicht zuletzt das Gefühl, mitgemacht und sich nicht gewehrt zu haben und dadurch mit schuldig zu sein, lassen die Opfer schweigen.
Das Gefühl, die Schuld am Geschehenen zu tragen, ist für Kinder und Jugendliche oft annehmbarer, als ihre Machtlosigkeit aushalten zu müssen. Zudem bestärken Täter diese Gefühle durch gezielte Schuldzuweisungen und Drohungen. Auch ist grundsätzlich das Reden über diese Thematik immer noch stark tabuisiert. Oft müssen mehrere Erwachsene im Verwandten- oder Freundeskreis angesprochen werden, bis eine Person den Schilderungen glaubt. Gleichzeitig verhindern auch bei den Erziehungsberechtigten oder Freunden Scham- und Schuldgefühle weitere Diskussionen. Man mag sich die schlimmen Taten nicht vorstellen, noch wagt man es, sie aussprechen. Gleichzeitig entstehen Schuldgefühle, nicht geholfen zu haben. Das Thema wird totgeschwiegen. So entstehen bei den Betroffenen Hemmnisse, Unsicherheiten und Ängste, das eigene Erleben zu reflektieren oder gar Dritten gegenüber anzusprechen.