Intervention

Schutzkonzepte und Präventionsmaßnahmen sind unbedingt notwendig. Dennoch kann es zu sexualierter Gewalt kommen. Liegt ein Krisenfall vor, ist dringendes Handeln notwendig. Dabei ist besonders auf ein betroffenensensibles Handeln zu achten.

Betroffenensensibles Handeln

Die Erfahrung von sexualisierter Gewalt führt zu einem besonders großen Vertrauensverlust der Betroffenen in andere Menschen. Ihr Selbstvertrauen und der Selbstwert sind nachhaltig erschüttert. Betroffene glauben oft, dass nur ihnen allein so etwas passiert ist, sie haben Angst vor Strafe, sie schämen sich. Die Angst vor Beschämung der eigenen Familie, Verurteilung, Schuldzuweisungen oder Liebesentzug lässt Betroffene oft über Jahrzehnte verstummen. Geschieht die Gewalterfahrung im Bekanntenkreis, kommen Loyalitätskonflikte und Verlustängste dazu oder auch die Sorge, als Lügner*in dazustehen. Auch die Angst, im Freundeskreis Anerkennung und Zugehörigkeit zu verlieren, und nicht zuletzt das Gefühl, mitgemacht und sich nicht gewehrt zu haben und dadurch mit schuldig zu sein, lassen die Betroffenen schweigen.

Das Gefühl, die Schuld am Geschehenen zu tragen, ist für Kinder und Jugendliche oft annehmbarer, als ihre Machtlosigkeit aushalten zu müssen.

Zudem bestärken Täter*innen diese Gefühle durch gezielte Schuldzuweisungen und Drohungen.

Umso wichtiger ist es, betroffenen Personen Glauben zu schenken, wenn sie über ihr Leid sprechen. Sexualisierte Gewalt wird vom Täter oder der Täterin ausgeübt, die betroffene Person trägt daran niemals Schuld – ganz gleich, was Täter*innen sagen.

Es ist ebenso wichtig, den bereits erlittenen Vertrauens- und Kontrollverlust in unserem Handeln mitzudenken und diese Erfahrung im weiteren Vorgehen zu berücksichtigen.

Betroffenen Glauben schenken, Sprachfähigkeit herstellen

Immer noch ist das Reden über diese Thematik stark tabuisiert. Oft müssen mehrere Erwachsene im Verwandten- oder Freundeskreis angesprochen werden, bis eine Person den Schilderungen glaubt. Gleichzeitig verhindern auch bei den Erziehungsberechtigten oder Freunden Scham- und Schuldgefühle weitere Diskussionen. Man mag sich die schlimmen Taten nicht vorstellen, noch wagt man es, sie auszusprechen. Gleichzeitig entstehen Schuldgefühle, nicht geholfen zu haben. Das Thema wird totgeschwiegen. So entstehen bei den Betroffenen Hemmnisse, Unsicherheiten und Ängste, das eigene Erleben zu reflektieren oder gar Dritten gegenüber anzusprechen.

Wir müssen eine Atmosphäre schaffen, in der über sexualisierte Gewalt besprochen werden kann, in der hingeschaut und nie weggesehen wird.

Selbstreflexion

Haupt- und Ehrenamtliche in der Kinder- und Jugendarbeit, in Gemeinden, Schulen und Kindertagesstätten sollten eine offene und selbstverständliche Atmosphäre des Aussprechens schaffen und so die Sprachlosigkeit mindern oder auflösen. Die eigene Scham mit diesem Thema, der Gedanke, dass, was nicht sein darf, auch nicht sein kann, und die Schwierigkeit die Wahrheit zu ertragen, sind ernst zu nehmen. Genauso wie eigene Erlebnisse oder Verdächtigungen. Sich selbst und die eigene Rolle gegenüber Kindern und Jugendlichen zu reflektieren, ist immens wichtig. Die eigene Kommunikation und Beziehungsgestaltung offen und kritisch anzusehen ist wesentlicher Bestandteil einer veränderten, enttabuisierenden Haltung. Betroffenen Kindern und Jugendlichen, die im Dilemma von Schuld und Scham stecken, kann es helfen, über das Erlebte zu sprechen. Dafür braucht es Menschen die sprachfähig sind und die hören können und wollen.